Wer kann eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben?
Eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht kann jedermann erheben, der behauptet, sich durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte (vgl. Art. 1 bis 19 Grundgesetz [GG]) oder bestimmten grundrechtsgleichen Rechten (Art. 20 Abs. 4, Art. 33, 38, 101, 103, 104 GG) verletzt zu sein. Eine Verfassungsbeschwerde kann gegen eine Gerichtsentscheidung oder auch gegen eine Entscheidung der Verwaltung gerichtet werden.
Verfassungsbeschwerde zu einem Landesverfassungsgericht?
Die Möglichkeiten, eine Verfassungsbeschwerde nach Bundesrecht und ggf. eine Verfassungsbeschwerde nach Landesverfassungsrecht an ein Landesverfassungsgericht zu erheben, bestehen erstens unabhängig voneinander und zweitens nebeneinander (sofern das Landesverfassungsrecht dies nicht ausdrücklich ausschließt), und zwar auch, soweit die jeweils einschlägigen Grundrechte nach der Landesverfassung und dem Grundgesetz identisch sind, § 90 Abs. 3 BVerfGG.
Für Gemeinden gilt dies nicht, soweit sie eine Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie geltend machen: Eine solche sog. Kommunalverfassungsbeschwerde zu dem Bundesverfassungsgericht ist ausgeschlossen, sofern eine Beschwerde zu einem Landesverfassungsgericht möglich ist, § 91 S. 2 BVerfGG.
Die Zulässigkeit der jeweiligen Verfassungsbeschwerde richtet sich nach den jeweils einschlägigen Bestimmungen des Landes- bzw. Bundesrechts. Wird bei nebeneinander eingelegten Verfassungsbeschwerden einer Beschwerde stattgegeben, wird die andere mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig und muss dann für erledigt erklärt oder zurückgenommen werden.
Was bewirkt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts?
Das Bundesverfassungsgericht stellt (lediglich) die Verfassungswidrigkeit eines Aktes der öffentlichen Gewalt 8z.B. eines Urteils), hebt eine verfassungswidrige Entscheidung auf und weis die Sache an ein zuständiges Gericht zurück. Andere Entscheidungen kann das Bundesverfassungsgericht auf eine Verfassungsbeschwerde hin nicht treffen. Es kann z.B. weder Schadensersatz zuerkennen noch Maßnahmen der Strafverfolgung einleiten.
Was prüft das Bundesverfassungsgericht bei einer Verfassungsbeschwerde?
Das Bundesverfassungsgericht prüft nur verfassungsrechtliche Verstöße. Ein solcher ist nicht nur deswegen gegeben, wenn die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung eines Gesetzes oder seine Anwendung auf den einzelnen Fall Fehler aufweist.
Welche Form und Inhalt muss eine Verfassungsbeschwerde haben?
Die Verfassungsbeschwerde ist schriftlich einzureichen und zu begründen (§ 23 Abs. 1, § 92 Bundesverfassungsgerichtsgesetz [BVerfGG]). Die Begründung muss mindestens folgende Angaben enthalten:
- Der Hoheitsakt (gerichtliche Entscheidung, Verwaltungsakt, Gesetz), gegen den sich die Verfassungsbeschwerde richtet, muss genau bezeichnet werden (bei gerichtlichen Entscheidungen und Verwaltungsakten sollen Datum, Aktenzeichen und Tag der Verkündung bzw. des Zugangs angegeben werden).
- Das Grundrecht oder grundrechtsgleiche Recht, das durch den angegriffenen Hoheitsakt verletzt sein soll, muss benannt oder jedenfalls seinem Rechtsinhalt nach bezeichnet werden.
- Es ist darzulegen, worin im Einzelnen die Grundrechtsverletzung erblickt wird. Hierzu sind auch die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Gerichtsentscheidungen (einschließlich in Bezug genommener Schreiben), Bescheide usw. in Ausfertigung, Abschrift oder Fotokopie vorzulegen. Zumindest muss ihr Inhalt einschließlich der Begründung aus der Beschwerdeschrift ersichtlich sein.
- Neben den angegriffenen Entscheidungen müssen auch sonstige Unterlagen aus dem Ausgangsverfahren (z.B. einschlägige Schriftsätze, Anhörungsprotokolle, Gutachten) vorgelegt (wie unter 3.) oder inhaltlich wiedergegeben werden, ohne deren Kenntnis nicht beurteilt werden kann, ob die in der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen berechtigt sind.
- Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen behördliche und/oder gerichtliche Entscheidungen, so muss aus der Begründung auch ersichtlich sein, mit welchen Rechtsbehelfen, Anträgen und Rügen der Beschwerdeführer sich im Verfahren vor den Fachgerichten um die Abwehr des behaupteten Grundrechtsverstoßes bemüht hat. Dazu müssen die im fachgerichtlichen Verfahren gestellten Anträge und sonstigen Schriftsätze beigefügt (wie unter 3.) oder inhaltlich wiedergegeben werden.
Wichtig ist, dass die Form und der Inhalt einer Verfassungsbeschwerde zu deren Zulässigkeitsvoraussetzungen gehören, d.h. dass die Nichteinhalten dieser Anforderungen zur Unzulässigkeit und daher zur Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung führen. Eine Verlängerung der Frist durch das Gericht ist ausgeschlossen.
Was sind weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen?
- Beschwerdefrist
Die Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen der Gerichte und Behörden ist mit der vollständigen Begründung innerhalb eines Monats zulässig (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Auch die vollständige Begründung muss innerhalb dieser Frist eingereicht werden (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
- Erschöpfung des Rechtswegs
Die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts ist grundsätzlich nur und erst dann zulässig, wenn der Beschwerdeführer zuvor den Rechtsweg erschöpft und darüber hinaus die ihm zur Verfügung stehenden weiteren Möglichkeiten ergriffen hat, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder diese zu verhindern. Vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde müssen daher alle verfügbaren Rechtsbehelfe (z.B. Berufung, Revision, Beschwerde, Nichtzulassungsbeschwerde) genutzt worden sein. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, wenn und soweit eine anderweitige Möglichkeit besteht oder bestand, die Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder ohne Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts im praktischen Ergebnis dasselbe zu erreichen. Der Beschwerdeführer muss den geltend gemachten Grundrechtsverstoß schon im Verfahren vor den Fachgerichten geltend machen bzw. versuchen abzuwehren.
Bei Gehörsrügen, bei denen eine Nichtgewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) gerügt wird, ist die Verfassungsbeschwerde nur dann zulässig, wenn zuvor versucht wurde, durch Einlegung einer Anhörungsrüge (insbesondere § 321a ZPO, § 152a VwGO, § 178a SGG, § 78a ArbGG, § 44 FamFG, § 133a FGO, §§ 33a, 356a StPO) bei dem zuständigen Fachgericht Abhilfe zu erreichen.
Kann der Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde selbst erheben?
Ja, eine Vertretung durch Rechtsanwalt ist beim Bundesverfassungsgericht nicht zwingend.
Was ist ein Annahmeverfahren?
Die Verfassungsbeschwerde bedarf der Annahme zur Entscheidung (§ 93a Abs. 1 BVerfGG). Sie ist zur Entscheidung anzunehmen,
- a) soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt
- b) wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist; dies kann auch der Fall sein, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht (§ 93a Abs. 2 BVerfGG).
Überwiegende Zahl von Verfassungsbeschwerden wird nicht zu Entscheidung angenommen. Das erfolgt durch Beschluss. Der Beschluss bedarf keiner Begründung und ist nicht anfechtbar (§ 93d Abs. 1 BVerfGG).
Was kostet das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht?
Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist kostenfrei. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch dem Beschwerdeführer eine Gebühr bis zu 2.600 Euro auferlegen, wenn die Einlegung der Verfassungsbeschwerde einen Missbrauch darstellt (§ 34 Abs. 2 BVerfGG).