Artikel 8: Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

  1. Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
  2. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Artikel 8 EMRK schützt das Privatleben umfassend und sichert dem Einzelnen einen Bereich, innerhalb dessen er seine Persönlichkeit frei entfalten kann. Dazu gehören u.a.:

  • die Verfügung über den eigenen Körper,
    das Sexualverhalten bzw. die sexuelle Orientierung,
    die körperliche und geistige Empfindlichkeit (Gesundheitszustand),
    das private Tun,
    die Kontakte mit engen Bezugspersonen und
    die persönliche Identität.

Der Anspruch auf Achtung des Privatlebens wird jedoch automatisch beschränkt, in dem der Einzelne sein Privatleben mit dem öffentlichen Leben in Verbindung bringt.

Das Privatleben ist nicht nur den höchstpersönlichen Lebensbereich , sondern auch die Beziehung zu anderen Menschen sowie berufliche Aktivitäten.

Artikel 8 EMRK schützt weiteres das Familienleben, d.h. das Zusammenleben in der Familie. Das sind Beziehungen

  • zwischen Ehegatten
  • zwischen Eltern und ihren Kindern
  • andere de facto Beziehungen, etwa zu nahen Verwandten, zu denen eine tatsächliche Bindung besteht.

Der Staat soll nicht nur Eingriffe in das Privat und Familienleben  unterlassen, sondern auch mittels Gesetzen, Rechtsprechung und Verwaltung den Schutz dieser Rechte sicherzustellen.

Eingriffe in das Recht auf Privatleben müssen gesetzlich vorgesehen und zur Erreichung eines öffentlichen Zwecks (nationale und öffentliche Sicherheit, das wirtschaftliche Wohl eines Landes, die Aufrechterhaltung der Ordnung oder der Schutz der Gesundheit, Rechte und Freiheiten anderer) notwendig sein.

Besonders relevant ist die Frage im Strafprozessrecht im Hinblick auf:

Durchsuchung von Wohnungen und Beschlagnahme von Gegenständen

„Wohnung" ist jede Räumlichkeit (auch geschäftlich genutzte), der eine gewisse Privatsphäre anhaftet.

Art 8 EMRK schützt  gegen jede Art von Eindringen oder Verweilen in einer  Wohnung gegen den Willen den Wohnungsinhaber. Eingriffe in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung der Wohnung müssen gesetzlich vorgesehen sein, einem der in Art 8 Abs. 2 EMRK angeführten legitimen Ziele (hier: der Verhinderung von strafbaren Handlungen) dienen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Zentralen Ansatzpunkt jeder Prüfung des EGMR über die Rechtmäßigkeit einer Durchsuchung  bildet die Frage, ob die betreffende Maßnahme geeignet, angemessen und erforderlich war, um den Eingriff rechtfertigen zu können. Dazu muss die Anordnung der Durchsuchung der Wohnung grundsätzlich durch einen Richter erfolgen. Der EGMR überprüft dort besonders aufmerksam die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung, wo es an einem Richtervorbehalt fehlt.

Telefonüberwachung Abhörmaßnahmen

Mit Telefonüberwachung  und Abhörmaßnahmen beschäftigten den EGMR bereits wiederholt. Gemäß seiner ständigen Rechtsprechung stellen das Abhören und andere Formen der Überwachung von Telefongesprächen einen schwerwiegenden Eingriff in die durch Art 8 EMRK geschützte Recht auf Privatsphäre dar. Deswegen stellt der EGMR in diesem Bereich hohe Anforderungen an die Klarheit und Präzision der gesetzlichen Grundlage. So muss das innerstaatliche Recht

Kategorien von Personen festlegen, deren Telefone durch gerichtliche Anordnung abgehört werden dürfen, die Natur der Straftaten bestimmen, die zur Anordnung solcher Maßnahmen führen können, eine zeitliche Begrenzung dieser Maßnahmen vorsehen, das Verfahren zur Erstellung des Berichts über die abgehörten Gespräche regeln und die Umstände nennen, unter denen Aufzeichnungen gelöscht werden können oder müssen.

Sachverhalte:

Der Vater einer 12-jährigen Tochter erstattet Anzeige, da er durch das Lesen der E-Mails seiner Tochter erfährt, dass diese sich regelmäßig mit dem ca. 40-jährigen A trifft. Sie selbst bestreitet derartige Kontakte. In der Folge ersucht die Polizei um die Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehls zwecks Auffindung und Sicherstellung von kinderpornographischem Material im Haus des A. Fraglich ist, ob tatsächlich ein begründeter Verdacht einer Begehung von Sexualdelikten vorliegt. Denn Hausdurchsuchungen, die nur dafür durchgeführt werden, um „irgendetwas Belastendes zu finden", sind unzulässig. Ginge man aber davon aus, dass bestimmte Tatsachen  tatsächlich darauf hindeuten würden, dass sich im Haus des A. pornographisches Material befindet, wäre die Vornahme einer Hausdurchsuchung grundsätzlich zulässig.

Ein anonymer Anrufer behauptet, dass sich im Haus des A. ca. 1 kg Suchtgift befindet. Mit diesem Sachverhalt konfrontiert die Polizei den Staatsanwalt und beantragt eine Hausdurchsuchung. Zur innerstaatlichen und konventionsrechtlichen Rechtslage: Hier gilt das oben Gesagte. Es muss ein konkreter Verdacht vorhanden sein, der eine derartige Maßnahme rechtfertigt. Den Hinweisen anonymer AnruferInnen ist hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts grundsätzlich mit besonderer Vorsicht nachzugehen.

Die Polizei will einen Haftbefehl gegen A vollziehen. Dieser versteckt sich in seiner Wohnung. Darf die Polizei zur Vollziehung des Haftbefehls auch die Wohnung durchsuchen? Eine Anordnung zur Festnahme berechtigt die Kriminalpolizei auch zur Durchsuchung der Wohnung und anderer vom Hausrecht geschützter Orte, um darin nach der/dem Verdächtigen zu suchen.

Schutz des Fernmeldegeheimnisses

Laut Rechtsprechung des EGMR stellen die Überwachung bzw. das Abhören von Telefongesprächen einen schwerwiegenden Eingriff in das Privatleben dar.  Auch Zellenabfragen greifen in die von Art 8 EMRK geschützte Privatsphäre ein, wenngleich der Eingriff hier nicht derart massiv ist wie etwa beim Abhören von Telefongesprächen. Die Behörden müssen zu prüfen  ob das angewendete Mittel (Zellenabfrage, Abhören von Telefongesprächen) verhältnismäßig gegenüber dem gesetzlich verfolgten Ziel (Verbrechensbekämpfung) ist. Dies hat in Form einer Abwägung der betroffenen Rechtsgüter mit den öffentlichen Interessen zu geschehen.

Fall: Ein 15-jähriger Bub ist seit zwei Wochen abgängig. Die Polizei befürchtet, dass er Opfer eines Gewaltverbrechens geworden ist und beantragt eine Zellenabfrage für die Stadt Pulkau, in der der Bub zuletzt gesehen wurde.

Art 2 EMRK (Recht auf Leben) verpflichtet den Staat, geeignete Präventivmaßnahmen zu ergreifen, um Personen zu schützen, deren Leben durch kriminelle Handlungen von Dritten bedroht ist. In Anbetracht des oben erwähnten Verhältnissmäßigkeitsgrundsatzes wäre eine Zellenabfrage in dem Fall zulässig.